Ich habe im Oktober ein tolles Interview mit Prof. Dr. Andreas Guse, dem Prodekan für Lehre der Medizin-Fakultät an der Uni Hamburg geführt. Er berichtete, wie die Studierenden der Medizin, durch ein ausgeklügeltes Evaluationsverfahren unmittelbar in die Veränderung der Lehre eingebunden sind. Die Grundlage des Verfahrens sind Evaluationsbögen, die in der letzten Sitzung einer Lehrveranstaltung von den Studierenden ausgefüllt werden – unter anderem auch mit umfangreichen Freitextkommentaren.

Ich dachte sofort: Das klingt ja gut, ich habe in meinem Studium oft solche Bögen ausgefüllt, aber nie wahrgenommen, dass sich darauf irgendetwas verändert hätte. In der Medizin gibt es eine aus allen Modulverantwortlichen und Studierenden zusammengesetzte Kommission, die alle Bögen auswertet, einschätzt und daraus Handlungskonsequenzen ableitet. Diese müssen die Modulverantwortlichen dann weitertragen, sodass sie umgesetzt werden können. Das heißt, es ist keine Option, zu überlegen, ob man die Änderungen umsetzt oder nicht, sondern es muss aktiv dagegen argumentiert werden,  wenn jemand das nicht machen will. Klar, hat Herr Guse nichts von Sanktionen berichtet, die den Leuten blühen, die die Änderungen nicht umsetzen, aber unter so vielen KollegInnen wird sich sowas wahrscheinlich schnell rumsprechen und wer will schon gern als Einzelner ohne Argumente sich gegen die Beschlüsse des ganzen Studiengangs wehren?

Anonymität als Sprechunterstützung?

Daraus ziehe ich erstmal die Schlussfolgerung, dass ich bei so einem Verfahren, wo ich wüsste, wie meine Rückmeldungen verarbeitet werden, wohl sehr viel mehr motiviert wäre, mich zu beteiligen, als das bisher der Fall war. Dieses Prinzip muss sich, denke ich, doch auch auf die studentische Partizipation anwenden lassen. Ich meine nun nicht, dass wir an möglichst vielen Stellen in Lehrveranstaltungen neue Evaluationsbögen einführen sollten, aber das Prinzip besteht unter anderem ja darin, Studierenden Raum zu schaffen, ihre Eindrücke und Kritik auszudrücken, ohne, dass sie Angst haben müssen, dafür sanktioniert zu werden oder schlecht dazustehen.

Manche sagen nun sicher, dass sie solche Räume nicht brauchen, weil sie eh gelernt haben, sich in solchen Fragen auszudrücken und das gegenüber den Lehrenden beispielsweise direkt im Seminar oder per E-Mail auch tun. Das mag sicher richtig sein, aber das gilt eben nicht für alle. Die Studierenden kommen aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen und haben sehr unterschiedliche Hintergründe, sodass der Bericht aus der Medizin, dass dort viele Studierende die Evaluation nutzen und dadurch in den letzten Jahren ihre Zufriedenheit mit dem Studienangebot signifikant angestiegen ist, darauf hindeutet, dass an der Überlegung, dass das auch mit der Möglichkeit, anonym zu bleiben zusammanhängt, schon etwas dran sein könnte.

Wie kann man so etwas nun außerhalb von Evaluationsbögen ebenfalls umsetzen? Vielleicht mit digitalen Tools? Oder indem Lehrende regelmäßig etwas Zeit einer Lehrveranstaltung dafür einplanen, in der sie rausgehen und die Studierenden auffordern, sich über die Lehrveranstaltung auszutauschen und diese Rückmeldung durch eine Sprecherin oder einen Sprecher der Lehrperson mitteilen zu lassen? Schreibt uns eure Gedanken dazu als Mail oder in die Kommentare. Wir freuen uns auf eurer Feedback!

Studentische Partizipation und Evaluation

Ein weiterer Gedanke, den ich bei dem Evaluationsverfahren aus der Medizin noch hatte, ist, inwieweit die Partizipation von Studierenden dabei noch stärker ausgebaut werden kann. Es sind zwar Studierende in der Evaluationskommission dabei, aber sie sind deutlich in der Minderheit und die anderen Mitglieder sind größtenteils langjährig erfahrene Lehrende, deren Wort deshalb stärkeres Gewicht haben wird als das der Studierenden. Das heißt, hier interpretieren und bewerten hauptsächlich Lehrende die Freitextkommtentare von Studierenden. Gleichzeitig sind die Studierenden beim Ausfüllen der Bögen allein und haben nicht die Möglichkeit, Vermutungen und Eindrücke zusammen mit anderen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, weshalb sie sie vielleicht lieber nicht äußern und so wichtige Hinweise verloren gehen könnten.

Dazu kann ein solches Evaluationsverfahren auch dafür Anlass sein, studentische Partizipation in Lehrveranstaltungen weniger zu forcieren, da sich lehrenderseits vielleicht (begründet) gesagt wird: Das machen wir ja schon in unserm Evaluationsverfahren und da haben wir im Verhältnis zur Vermittlung des Lehrstoffs eigentlich schon genug Zeit hinein investiert. Auch unsere Vermutung, dass gelungene Partizipation den Studierenden unmittelbar von Nutzen sein muss, wird im Evaluationsverfahren nicht erfüllt, sondern dort arbeiten Studierende eines Jahrgangs am Ende ihrer eigenen Lehrveranstaltung für die Verbesserung der Veranstaltung für die Studierenden des nächsten Jahrgangs. Durch diese möglicherweise als altruistisch empfundene Tätigkeit kann es sein, dass die Studierenden ihre Beteiligung nicht als in ihrem eigenen Interesse, sondern als Zeit”aufopferung” für andere empfinden und so sich zwar beteiligen, aber dies eher aus moralischen Gründen (“man soll ja etwas für andere tun”) und damit potentiell widerwillig oder sogar teilweise unter empfundenem Zwang tun.