Im Interview berichtet Nico Nolden von seiner Lehre in der Public History an der Uni Hamburg. Er erläutert, warum und wie er auf Forschendes Lernen, studentische Partizipation und eine „Ermöglichungskultur“ gesetzt hat.

Lieber Nico, Du warst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hamburg. Was hast Du dort gemacht?

Ich habe seit 2014 in der Public History in Hamburg gearbeitet und dort Projekte basierend auf dem Prinzip des Forschenden Lernens durchgeführt. Dabei habe ich mit Studierenden versucht, mithilfe von Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft innovative Medienprojekte anhand konkreter historischer Inhalte zu erarbeiten. Das erforderte, dass wir komplett umdenken, was Lehre und Forschung bedeuten. Dort bin ich sehr aufgeblüht, weil es für mich ein Paradigmenwechsel innerhalb der mir bekannten Geschichtswissenschaft war. Seit 2019 bin ich in der Public History Hannover und versuche nochmal wieder einen anderen Blickwinkel auf das Thema zu gewinnen. Bestimmend war dabei immer für mich, die richtigen Projektarten zu finden, um die Partizipation von Studierenden an Forschung und Lehre zu stärken.

Wie lief das genau ab?

In den meisten meiner Projekte lief es im Kern so, dass es zuerst eine Analysephase gab. Beispielsweise aus dem Bereich digitaler Spiele, was damals ein relativ neues Thema war. Dort konnten die Studierenden in unserem GameLab die Spiele erstmal ausprobieren. Dadurch wollte ich bewirken, dass die Studierenden erstmal selbst Erfahrungen sammeln, bevor ich ihnen als Lehrender alles vorgebe. Darauf folgte eine Arbeitsphase, in die Theorien und Methodenlehre einflossen. Hier traf ich eine gezielte Vorauswahl. Am Beispiel war das unter anderem das Thema historische Narratologie und interaktive Narrationen in digitalen Netzwerken. Diese Kombination forderte die Studierenden auf, auf Grundlage der theoretischen Texte ein eigenes Projekt zu entwickeln, aufzusetzen und durchzuführen. Das sollte etwa zur Mitte des Semesters in einem einseitigen Exposé resultieren, welches die restliche Arbeitsphase festzurrt – eine Fähigkeit, die zu wenig an den Universitäten geübt wird, insbesondere wenn es eine Gruppenarbeit sein soll. Nachdem die Studierenden einander ihre Vorhaben präsentierten und sich darüber austauschten, gingen sie in die Produktion. Kurz vor Ende des Semesters wurden die Ergebnisse in einer Art Workshop präsentiert und ausprobiert. Nach dieser Feedbackschleife wurde dann meist ein abgabereifer Prototyp kurz nach Semesterende hergestellt. Letztendlich sahen alle meine Projektkurse in etwa so aus – mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.

Du hattest gesagt, dass die Studierenden sich ihre Projektinhalte selber ausgesucht haben. Gab es dafür eine breite Auswahl oder konnten die Studierenden auch ganz neue Themen einbringen?

Meine Vorgabe war vor allem immer die Mediensorte – beispielsweise, dass wir eine App bauen. Dazu habe ich ein historisches Kernthema – wie in einem Fall Flucht und Migration – vorgegeben, in dessen Rahmen sich die Studierenden eigene Schwerpunkte setzen konnten. Im Fall digitaler Spiele haben sie sich angeschaut, welche Spiele es schon gab und welche Form von Spiel sie innerhalb des Zeithorizonts eines Semesters meinten, selber produzieren zu können. Bei Flucht und Migration spielte ja das Dritte Reich eine große Rolle und ein Team hat dann mithilfe gängiger Werkzeuge ein Videospiel zum Altonaer Blutsonntag 1932 produziert. Bei dem Umfang dieser Vorhaben kam es dann auch schon einmal vor, dass uns die Arbeit über den Kopf gewachsen ist. Beispielsweise haben wir für das Hamburger Play-Festival 2017 eine Ausstellung zu digitalen Spielen entwickelt. Die studentischen Gruppen entwickelten eine Fragestellung und produzierten dafür ein allgemeinverständliches, aber wissenschaftliches Video in einer Art YouTube-Format, indem sie aufgezeichnete Szenen zusammenschnitten. Sie mussten sich nicht nur in der Gruppe auf eine Fragestellung einigen, sondern zu Video und dieser Leitfrage auch eine Ausstellungstafel entwickeln. Dazu kam, dass die Studierenden mit sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen und Gewohnheiten in die Veranstaltungen kamen und es war mir immer wichtig auf diese Unterschiede adäquat einzugehen. So sehr viele Studierende diese Formate auch schätzen lernten, fühlten sich manche durch den experimentellen Charakter dann eben auch überfordert.

Hast Du in Deinem eigenen Studium auch schon Erfahrungen gemacht, wo Du gern mehr beteiligt worden wärst?

Ich komme ursprünglich aus zwei verschiedenen Kulturen: In Physik bin ich recht spät im neunten Semester durch eine Matheprüfung gefallen und rausgeflogen. Mit der völligen Freiheit der Studienplanung in einem stark inhaltlich verschulten System war ich schlicht überfordert. Diese Zeit in den Naturwissenschaften will ich jedoch nicht missen. Durch die unterschiedlichen Fachkulturen lernt man auch einen unterschiedlichen Zugriff auf Wissenschaftlichkeit kennen. Viele Naturwissenschaftler behaupten, sie hätten die klarere, präzisere Wissenschaft, weil sie schlicht berechenbar wäre. Ihnen scheint dabei gelegentlich abhanden zu kommen, dass auch sie nur Modelle von der Welt entwerfen. Kommt man da in Grenzbereiche – zum Beispiel zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik – produzieren auch diese Modelle Unschärfen. Es hilft einem als Geisteswissenschaftler, diese Umstände einer gelegentlichen naturwissenschaftlichen Arroganz entgegenhalten zu können. Auch unsere Modelle gelten nur in bestimmten Rahmenbedingungen. Mit einem Gesellschaftsmodell nach Bourdieu lässt sich eben die Moderne beschreiben, nicht aber das Mittelalter. So bitter es ist, an einem Studium zu scheitern, nutzten mir die Lehren daraus für Geschichte: Hätte ich gleich mit dem Magister-Studium begonnen, wäre die dort herrschende große Freiheit für mich zum Problem geworden. Die große inhaltliche Freiheit in den Geisteswissenschaften ist nicht nur Chance, sondern auch eine Herausforderung. Im Unterschied zum vorherigen Studium gab es keine Zwischenprüfungen, sondern nur einen „Laufzettel“, den man abgab. Sicherlich schlägt die rigide Kontrolle über Leistung und Fortschritt der Studierenden durch das Bachelor-/Master-System nun völlig in das andere Extrem aus. Die eingebaute Unterstützung zu einer gewissen Selbstdisziplin weiß ich aus meiner Studienerfahrung jedoch zu schätzen. Insoweit hat mir die Aufmerksamkeit der Lehrenden für das, was die Studierenden treiben, sowie meine Beteiligung als Studierender an der Gestaltung der Lehre in beiden Fächerkulturen gefehlt.

Was hast Du daraus für heute für Schlüsse gezogen?

Daraus habe ich den Schluss gezogen, in meiner akademischen Arbeit Forschung und Lehre so verknüpfen zu wollen, dass die Partizipation der Studierenden gewährleistet wird, oder wenn man so will: die Rücksichtnahme auf die Unterschiedlichkeit von Studierenden umzusetzen. Wie gesagt: Ich hatte meine Schwäche in beiden Systemen. Da wäre es, denke ich, gut gewesen, wenn die Universität von den Studierenden formal die Rückmeldung erhalten hätte, was diese über den Studienverlauf und die Organisation des Studiums denken. Allerdings fehlt heute wiederum im Bachelor-Master-System den Studierenden teilweise schlichtweg die Zeit, sich vertieft die Theorien und Methoden ihres Fachs anzueignen, was auch ein Problem ist. Insoweit denke ich, dass Partizipation auch bedeutet, dass die Universität ein adäquates System benötigt, um zu messen, ob und wie Studierendenwünsche und Lehrangebote zusammenpassen. Dabei wäre auch die starke Fokussierung auf Noten und Endergebnisse zu hinterfragen. Ich selbst setze beispielsweise immer auf Studienleistungen, die konsekutiv aufeinander aufbauen, weil ihnen ein didaktisches Gesamtkonzept zugrunde liegt. Für die Studierenden ist das viel gewinnbringender als eine Klausur, eine mündliche Prüfung oder eine Hausarbeit am Ende. Auch weil es an Partizipationsmöglichkeiten mangelt, das Studium mitzugestalten sowie es grundlegend auszurichten, fallen viele Studierende hintenüber. So mancher oder manche gibt dann letztendlich auf. Zum Beispiel bleibt problematisch, dass die Universität im Wesentlichen auf eine wissenschaftliche Karriere vorbereiten will. Sie kann aber nur einer Minderheit später dort Arbeit bieten. Außerdem kann eine geschichtswissenschaftliche Haltung auch nützen, Gewohnheiten in vielen praktischen Berufsfeldern zu hinterfragen – im Journalismus etwa. Für diese Studierenden, welche die Spannung zwischen Wissenschaftlichkeit und Berufen außerhalb der Akademie reizvoll finden, ist mir besonders wichtig, die beschriebene „Ermöglichungskultur“ für eigene Ideen hochschulpolitisch umzusetzen.

Siehst Du Dich dabei als Lehrender von deinen KollegInnen unterstützt?

Das kommt ganz jeweils stark auf die KollegInnen an. Ich denke, es existiert ein großer Graben in der Wissenschaftslandschaft: auf der einen Seite stehen integrativ und kollaborativ handelnde Menschen, die eher egalitär denken und andere fördern und partizipieren lassen wollen. Auf der anderen Seite stehen karriere- und systemorientierte Menschen, die in möglichst kurzer Zeit auf eine Juniorprofessur wollen und sich dafür konformistisch anpassen. Sie wählen sogar ihre Themen dementsprechend. So könnte ich nicht arbeiten, ich zähle mich klar zu Ersteren. Letztere konzentrieren sich dabei viel mehr auf Forschung und Publikationen, weil das gegenwärtige Wissenschaftssystem Lehre kaum goutiert. Insofern kann man ihnen das kaum vorwerfen. Aber klar bleibt: Sich in die Lehre intensiv einzubringen, kostet Kraft und Zeit, die dann für den vorgesehenen Karriereweg fehlen. Für eine gute Lehre ist das System völlig kontraproduktiv.

Was würdest Du Dir von deinen KollegInnen noch mehr wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass mehr KollegInnen die Einsicht gewinnen, dass das gegenwärtige Bachelor-Master-System von Technokraten gemacht wurde, die vor allem die Messbarkeit von Studienerfolgen herstellen wollten. Diese Intention steht diametral dem entgegen, nicht in dem Sinne abprüfbares Wissen zusammen mit Studierenden neu zu erarbeiten. Beispielsweise bedeutet Forschendes Lernen, Fehler machen zu dürfen, aus den Irrwegen zu lernen, und deshalb statt sechs vielleicht auch mal acht Semester zu studieren. Man ist ja heutzutage manchmal schon aus dem Studium raus, wenn man die rigiden Bafög-Regelungen nicht erfüllen kann – etwa nach dem vierten Semester alle vorgegebenen Scheine vorzulegen. Wir werden dieses System nicht ändern, da es auf europäischer Ebene verankert ist, aber wir brauchen Wege daran vorbei – wie beispielsweise Belohnungssysteme zur Förderung guter Lehre. Es sollte nicht mehr die Möglichkeit bestehen, dass karrieristisches Denken der vorwiegende Maßstab ist. Stattdessen sollten Lehrende frühzeitig im Studium, gerade im Bachelor, die Ideen von Studierenden aufgreifen und sie mit DoktorandInnen und anderen Forschenden zusammenbringen. Das würde sie nochmal auf andere Weise ihren Lernprozess gestalten lassen und sie durch die gewonnenen Erfahrungen befähigen, an Lehrveranstaltungen stärker zu partizipieren. Auf der anderen Seite würden die Forschenden dadurch ihre Arbeit daran überprüfen können, ob die Bedürfnisse und Fragen der jüngeren Generationen darin bedacht sind. Wir haben damit in der Public History Hamburg außerordentlich positive Erfahrungen gemacht.

Was würdest Du dir dabei auf der anderen Seite von Studierenden noch mehr wünschen?

Ohne jetzt eine sokratesianische Studentenbeschimpfung daraus zu machen, stelle ich fest, dass viele von denen, die zum Beispiel Geschichte studieren, sich sehr systemkonform verhalten. Das kann man ihnen auch nicht vorwerfen, da sie den genannten Druck von außen haben: Bafög, Elternhaus, usw. Aber für sich genommen, ist eine schnelle Ausbildung kein wissenschaftlicher Wert. Das zu erkennen, hoffe ich, gelingt in Zukunft noch mehr Studierenden. Sonst bleibt weiterhin kaum Zeit für studentische Partizipation – weder zur Aneignung von partizipativen Fähigkeiten noch im Sinne, sich an der Selbstverwaltung und an hochschulpolitischen Bildungsveranstaltungen zu beteiligen. Das System lehrt sie vor allem, sie hätten Anspruch auf eine Vierzigstundenwoche. Sich wissenschaftlich zu bilden, bedeutet aber eben auch, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Nur noch ein verschwindender Teil besucht etwa Ringvorlesungen oder bildet Literaturkreise zum gemeinsamen Austausch. Diese Basis für eine erfolgreiche Bildung hat ihnen das System leider sehr effizient abtrainiert – ein schwer zu korrigierender Schaden an der Studienkultur. Studierende kommen spätestens seit Abschaffung der Wehrpflicht sehr jung in die Hochschule und haben hauptsächlich schulische Vorstellungen von Unterricht und einem Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden – sie fragen beispielsweise in meinen Veranstaltungen nach Stundenplänen. Das zeigt, dass auch die Studierenden aktiv selbst Möglichkeiten suchen müssen, um so zu studieren, dass sie danach eine zufriedenstellende berufliche Zukunft haben. Nochmal der Appell: Es ist kein Wert an sich, das Studium in möglichst kurzer Zeit durch das Abhaken von Vorgaben abzuschließen. Dazu gehören eben auch Besuche von Ringvorlesungen oder politisches, soziales oder kulturelles Engagement. Ich bin deshalb auch sehr dafür, wenn höhere Studienjahrgänge sowie Alumni sich dafür engagieren, ihre Erfahrungen an die neuen Studienjahrgänge weiterzugeben. Eine Universität muss genau diesen Austausch institutionell intensiv fördern. Im besten Fall entstehen daraus Netzwerke von Menschen, die gerne miteinander arbeiten. Denn – ob nun in der Universität oder danach – diesen Austausch von Erfahrungen in einem forschenden Umfeld wahrzunehmen, in dem die Studierenden unterschiedlich schnell denken und lernen dürfen, entscheidet am Ende über ein erfolgreiches Studieren.

Das Interview führte Eric Recke.