Kristin Paetz lehrt Statistik im Bachelor Sozialökonomie und hat dafür den Hamburger Lehrpreis 2019 erhalten. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen mit den ersten zwei Wochen Online-Lehre, Herausforderungen dabei, Studierende einzubeziehen und was ihr an ihrem Fachbereich so gefällt.
In welchen Veranstaltungen lehren Sie?
Ich unterrichte im Modul Statistik-Grundlagen im ersten Jahr des Bachelors Sozialökonomie. Dieses besteht aus den Vorlesungen “Statistik I und II”. Im zweiten Jahr lehre ich die Methodenveranstaltung “Statistik-Vertiefung” sowie im dritten Studienjahr in einem Seminar zu Ökonomie und Migration im Vertiefungsbereich “VWL”.
Beziehen Sie dabei die Studierenden in die inhaltliche Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen ein?
Wir hatten eine Bachelor-Reform, die zum Wintersemester 16/17 umgesetzt und vorher zwei Jahre lang diskutiert wurde. Hier waren die StudierendenvertreterInnen beteiligt. Sie haben sich zwei Punkte gewünscht, die wir dann auch umgesetzt haben: Inhaltlich, dass auf die Rolle der Statistik in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eingegangen wird. Dies ist jetzt so im Modul verankert – wobei ich ergänzen möchte, dass ich hierauf auch schon vorher eingegangen bin. Zum anderen haben sich die StudierendenvertreterInnen weniger Prüfungen gewünscht. Es gab in Statistik vorher zwei Prüfungen innerhalb des Moduls, welche dann zu einer Prüfung zusammengelegt wurden. Insoweit haben die Studierenden über ihre VertreterInnen an der Lehrgestaltung partizipiert.
Studierende in die Gestaltung einer einzelnen Vorlesung einzubeziehen, ist bei einer Großvorlesung zur Statistik schwierig, welche sich mit grundsätzlichen statistischen Methoden beschäftigt. Anders ist dies im Seminar, in dem die Studierenden innerhalb des Veranstaltungsrahmens das Thema ihrer schriftlichen Ausarbeitung sowie ihres Referates wählen können.
Und in die methodische?
Ich arbeite viel mit Feedback und frage, was für die Studierenden funktioniert. Somit baut die Methodik auf dem Feedback der letzten Jahre auf. Beispielsweise habe ich, nachdem ich die Veranstaltung “Statistik Vertiefung” neu entworfen hatte, eine halbe Stunde interaktives Feedback mit Moderationskarten durchgeführt, um zu eruieren, was ich verbessern kann.
Sind in diesen Feedback-Gesprächen dann inhaltliche Veranstaltungsverbesserungsvorschläge kein Thema?
Sicherlich geht es auch darum, ob ein Themengebiet kürzer oder ausführlicher behandelt werden sollte, was ich berücksichtige. Darüber hinaus gab es bisher keinen inhaltlichen Vorschlag. Dieser müsste sich auf die behandelten Methoden beziehen und wäre schwierig umzusetzen. Ich unterrichte im Bachelor Sozialökonomie, der aus VWL, BWL, Soziologie und Recht besteht. Um z.B. „Statistik Vertiefung“ zu gestalten, habe ich mich mit den Vertretern dieser Bereiche zusammengesetzt, um mit diesen gemeinsam zu diskutieren, was die Studierenden brauchen, um später in Vorlesungen und Seminare folgen zu können und ihre Bachelorarbeit schreiben zu können. Dazu ist es schwierig für die Studierenden zu wissen, was sie gerne wissen wollen würden, wenn sie noch gar nicht wissen, was es an Methoden gibt und was sie später brauchen. Insoweit haben die genannten Fachvertreter auch einen Wissensvorsprung.
Wie waren Ihre eigenen Partizipationserfahrungen in ihrem Studium?
Nicht vorhanden: In meinem Studium hatte ich reinen Frontalunterricht, bis auf die Seminare, wo ich dann Seminararbeiten geschrieben habe, aber inhaltliche Partizipation von Studierenden kenne ich als Studentin nicht.
Nach den ersten gelaufenen zwei Wochen Online-Lehre: Was würden Sie als bedeutenden Unterschied zwischen Präsenz- und Online-Lehre formulieren?
Es findet generell weniger Interaktion mit den Studierenden statt. Dabei kommt es aber auch darauf an, an welchem Punkt im Studium sie jeweils sind. Beispielsweise sitzen in meiner Grundlagenveranstaltung Studierende aus dem ersten Jahr, welche insgesamt mehr Fragen haben und daher auch mehr Unterstützung brauchen. Insoweit erhalte ich dort viele Rückfragen, wie ein bestimmter Lehrinhalt zu verstehen ist und wie man ihn zu interpretieren hat. Um festzustellen, welche Methoden am besten funktionieren, bin ich in einen Austausch mit den Studierenden gegangen. Zudem probiere ich alles aus, was mir zur Verfügung steht: Ich chatte, biete offene Online-Sprechstunden via „Zoom“ an und habe Multiple-Choice-Tests zu den Inhalten aus von mir produzierten Videos eingestellt. So kann ich feststellen, was am besten zur jeweiligen Situation passt und wo Schwierigkeiten sind. Unter anderem habe ich als Feedback mitgenommen, dass ich einen weiteren Sprechstunden-Termin anbiete, da Manche die Bestehenden aufgrund von Überscheidungen nicht wahrnehmen konnten. Die Sprechstunden führe ich via Zoom und mit Chat durch. In den ersten Semestern wird dies nachgefragt, in den höheren Semestern weniger.
Woran, denken Sie, liegt das?
Die Studierenden wissen in späteren Semestern eher wie ein Studium funktioniert. Studierende in den ersten Semestern haben noch mehr Angst und Respekt vor der Uni. Aktuell kann ich mir die Situation für Erstsemester gerade auch schwer vorstellen, die noch gar keine Uni hatten. Insbesondere, da ich bei diesen wahrnehme, dass sie versuchen alles sehr genau zu verstehen, um keine Fehler zu machen, die sich später negativ auswirken könnten. Die höheren Semester sehen die Situation meinem Eindruck nach grundsätzlich gelassener und denken beispielsweise, wenn sie einen kleineren Aspekt nicht verstanden haben, dass dieser sich wahrscheinlich später noch klärt. Aber ich habe auch durch den Austausch mit meinen studentischen TutorInnen den Eindruck erhalten, dass die Studierenden aufgrund von Schwierigkeiten mit der Eigenmotivation beim Online-Semester dieses Semester insgesamt weniger stark werden wahrnehmen können wie andere Semester. Auf der anderen Seite kommen von den Studierenden zurzeit keine Rückmeldungen, was ich noch besser oder anders machen könnte. Wobei dafür wie gesagt generell die Interaktion fehlen könnte – gerade, da ich normalerweise sehr viel mit Interaktionen in meinen Veranstaltungen arbeite: Von der gemeinsamen Aufgabenlösung bis zur Diskussion der Veranstaltungsinhalte. Das fällt nun komplett weg.
Werden Sie Elemente, die sich in der Online-Lehre bewährt haben, später in der Präsenzlehre wiederverwenden?
Ja, denn das Schöne an der Online-Lehre ist, dass die Studierenden zeitlich flexibel und nach ihrem Kenntnisstand arbeiten können. Beispielsweise könnten sie sich ein Video zehn Mal anschauen, wenn sie so lange brauchen, um es zu verstehen. Auch die ständige Verfügbarkeit der Unterlagen hat teilweise einige Vorteile. Ich kann mir vorstellen, dass ich gerade in vertiefenden Veranstaltungen, welche auf Grundlagenfächern aufbauen, die relevanten Grundlagen-Videos wieder bereitstelle. Das heißt, diejenigen, die etwas, was sie für fortgeschrittene Kurse brauchen, damals nicht gut verstanden haben, können dies so besser und selbstständig nachholen. Darüber hinaus gefällt mir die Möglichkeit, Multiple-Choice-Tests als Selbsttests anzubieten. Zudem kann ich mir vorstellen, dass E-Learning-Angebote für bestimmte Studierenden sinnvoll sein können – beispielsweise im Konzept des flipped classroom.
Wie würde das dann genau ablaufen?
Die Lehrinhalte würden als Video verfügbar sein und das Wissen so vermittelt. Die andere Hälfte der Zeit würde dann in Präsenz stattfinden, wo vor allem die gestellten Übungsaufgaben und Fragen besprochen sowie diskutiert werden.
Würden Sie sich diesbezüglich etwas von Ihren KollegInnen mehr wünschen?
Ich denke, es gibt verschiedene Möglichkeiten sehr gut zu lehren, aber für das Wichtigste halte ich, dass man in der Lehre authentisch ist und seinen Stil passend zu den Anforderungen der Lehrveranstaltungen und zu den Bedürfnissen der Gruppe umsetzt. SozialökonomInnen sind beispielsweise anders als VWLer, was die Interaktion angeht. Erstere sind meinem Eindruck nach sehr viel mehr auf Interaktionen in den Veranstaltungen orientiert. Insoweit ist die Lehrsituation stark abhängig von den Menschen, die dort zusammenkommen und dem Lehrinhalt, so dass ich schwierig fände zu sagen, was ich mir mehr von meinen KollegInnen wünschen würde. Ich nehme diese insgesamt als sehr motiviert wahr und ich denke, dass sehr gute Arbeit gemacht wird.
Und von den Studierenden?
Eigentlich kaum etwas. Meine Studierenden geben Feedback, machen Anmerkungen, diskutieren kritisch und etwas Besonderes an der Sozialökonomie ist, dass wir einen offenen Hochschulzugang haben. Das heißt, ein Teil der Studierenden hat kein Abitur, sondern kommt nach der Ausbildung, einer längeren Arbeitsphase oder Familienbetreuung zu uns. Dadurch sind die Studierenden gut durchmischt: Ein Teil ist beispielsweise etwas älter und erfahrener und sieht Bildung stärker als zusätzliche Bereicherung und Chance für eigene Lebensveränderungen. Insoweit – eingeräumt, dass ich nicht erwarte, dass jedeR in einer Statistik-Veranstaltung hellauf begeistert dabei ist – bin ich ganz zufrieden.
Das Interview führte Eric Recke.