Die Archäologie befasst sich mit dem Heben verborgener Schätze. Wir haben Nadine Leisner vom Institut für Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes und Lehrpreisträgerin 2018 gefragt, wie sie dieses Prinzip lehrt und wie sie es bei ihren Studierenden anwendet – mit besonderem Blick auf deren Partizipieren an der Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen.
In welchen Veranstaltungen lehren Sie?
Ich lehre in der Klassischen Archäologie, sowohl im Bachelor- wie Masterstudiengang und dort in allen Formaten außer Vorlesungen – vor allem Seminare, aber auch praktische oder theoretische Übungen. Eine Besonderheit des Studiums in Hamburg stellt die Schwerpunktbildung innerhalb der Semester nach einzelnen kulturgeschichtlichen Epochen dar – von der Ägäischen Bronzezeit bis zur Spätantike. Bislang habe ich in fast jeder Epoche unterrichtet, hinzu kommen übergreifende Veranstaltungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten und aktuellen Forschungsthemen.
Sie haben 2018 den Hamburger Lehrpreis für das Lehrprojekt „The Beautiful People! Experimentelle Archäologie zur Polychromie in der Antike“ erhalten. Worum ging es dabei?
In der Übung stand der Nachweis der Farbigkeit antiker Skulpturen, deren Rekonstruktion und die dadurch veränderte Wahrnehmung beim modernen Betrachter im Fokus. In einem ersten Schritt haben die Studierenden sich mit theoretischen Modellen und Methoden zum Nachweis von Farbe auf Skulpturen auseinandergesetzt. Anschließend haben sie an unterschiedlichen Materialien antike Maltechniken ausprobiert. In der Antike wurden Skulpturen meistens aus Marmor hergestellt – ein teures Material, das oft importiert werden musste und dann fast lückenlos mit Farbe bedeckt war. Die Studierenden haben sich innerhalb der Übung die Leitfrage gestellt, ob die Materialität einen Unterschied in der Wahrnehmung macht. Warum wurde der teure Marmor verwendet, wenn man ihn nicht sehen konnte? In ihren Experimenten haben sie deshalb unter anderem untersucht, wie sich Pigmente auf unterschiedlichen Steinsorten verhalten und festgestellt, dass die Farbe auf Marmor besser wirkt: Sie ist durchscheinender und man kann lasierend und somit detailliert in mehreren Schichten arbeiten. Ihre Ergebnisse haben die Studierenden schließlich in eigenen Farbrekonstruktionen, allerdings an Gipsabgüssen, umgesetzt, in der Gipsabguss-Sammlung ausgestellt und alle Schritte in einem Ausstellungskatalog dokumentiert.
Haben Sie versucht, die Studierenden in die inhaltliche Konzeption der Veranstaltung einzubinden?
Ich habe den inhaltlichen Rahmen vorgegeben und Themen für den theoretischen Teil als Referate vergeben. Die eigene Schwerpunktsetzung in der Fragestellung habe ich den Studierenden überlassen. Für die Rekonstruktionen stand uns außerdem eine begrenzte Anzahl an Gipsabgüssen zur Verfügung, aus denen die Studierenden wählen konnten. Die Konzeption von Ausstellung und Katalog hingegen haben die Studierenden eigenständig innerhalb eines Tutoriums übernommen. Sie haben entschieden, welches Farbkonzept sie verwenden wollen, wie Beschilderungen und die Aufstellung der Stücke aussehen sollen. Natürlich waren hier einige Grenzen durch die Räumlichkeiten und Ausstattung der Gipsabguss-Sammlung, die vorhandenen Ressourcen und natürlich das Budget gesetzt. Mit viel Engagement und Eigeninitiative konnten die Studierenden hierfür aber eine Reihe kreativer Lösungen finden. Die Übung konnte außerdem durch den Innovationsfond der Fakultät für Geisteswissenschaften gefördert werden, was die Möglichkeiten der Umsetzung des Konzepts erheblich verbessert hat.
Gehen Sie auch über die Methoden in Ihren Lehrveranstaltungen in die Verhandlung mit den Studierenden?
Grundsätzlich gebe ich den thematischen und methodischen Rahmen in den Veranstaltungen vor. Abhängig von dem Veranstaltungsformat und den Vorgaben bezüglich der Prüfungsarten in der Studienordnung, können die Studierenden die Inhalte mal mehr, mal weniger frei gestalten. Forschungsorientierte Projektseminare eignen sich besonders gut, um Studierenden Partizipation zu ermöglichen. Diese Formate werden gut angenommen, stellen die Studierenden aber auch vor eine ganze Reihe Herausforderungen. Das eigene Zeitmanagement wird am häufigsten falsch eingeschätzt. Gerade der Aufwand, der durch Kommunikation und Organisation von Aufgaben innerhalb einer Gruppe entsteht, wird häufig unterschätzt. Ebenso die Tatsache, dass Studierende aus verschiedenen Semestern und Nebenfächern unterschiedliche Vorkenntnisse besitzen und zur Erschließung der Themen mehr Zeit brauchen, als zunächst gedacht. Hierdurch entsteht eine gewisse Überforderung, die Fertigstellung von Projekten zieht sich in die Länge. Damit der Zeitaufwand nicht ausartet, gebe ich mittlerweile selbst Meilensteine mit festen Terminen innerhalb des Semesters vor, an denen sich die Studierenden orientieren können.
Aber auch in den Seminaren, in denen vor allem Referate gehalten werden, versuche ich die Studierenden einzubinden, durch Diskussionsrunden, oder durch die Einbindung von World Cafés oder Poster Pitches. Auch die Studierenden selbst können ihre Referate interaktiver gestalten und ihre Kommilitonen einbinden. Meistens ist es aber sehr schwierig Studierende zu motivieren, sich aktiv in diese Gestaltung einzubringen und Neues auszuprobieren. Die Mehrheit konsumiert lieber und bleibt bei den Formaten, die sie traditionell kennen.
Sind Sie schon immer so vorgegangen oder hat sich das mit Ihrer Entwicklung als Lehrende im Laufe der Zeit verändert?
In meinem Studium gab es nur sehr wenige Möglichkeiten der Partizipation. In den Seminaren wurde fast ausschließlich mit Referat und Hausarbeit gearbeitet. Mittlerweile weiß ich diese klassischen Formate zu schätzen, weil sie einen viel stärkeren Bezug zur Alltagsrealität haben, als man im Studium denkt. Viele didaktische Techniken habe ich selbst in Weiterbildungen erlernt, z.B. am Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) und anschließend in den Lehrveranstaltungen ausprobiert. Hier hat sich dann gezeigt, welche Methoden für mich funktionieren, oder auch nicht. Die Art und Weise wie ich jetzt meine Veranstaltungen konzipiere, beruht stark auf diesen praktischen Erfahrungen.
Wie entwickelt sich die Lehre ihrem Eindruck nach gerade am Institut für Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes?
In der aktuellen Lage erleben wir gezwungenermaßen einen regelrechten Schub im Bereich Digitalisierung der Lehre. Während wir gerade unsere Lehrveranstaltungen für die Online-Nutzung vorbereiten, können wir am Institut schon auf einige Erfahrungen in dem Bereich zurückgreifen. Seit längerem arbeiten wir, zurückgehend auf ein Projekt im Rahmen der Hamburg Open Online University (HOOU), an „Ariadne – ein Online-Repetitorium für die Klassische Archäologie“, einem eLearning, dass Basiswissen vermittelt und auf der Plattform OpenOlat angeboten wird. Ich selbst habe bislang online vor allem zusätzliche Materialien bereitgestellt, sowohl zur Wiederholung wie zur Vertiefung von Inhalten, insbesondere auch um unterschiedliche Lernniveaus in meinen Seminaren auszugleichen. Mit der Umstellung auf Online-Lehrveranstaltungen erreicht dies nun ein neues, intensiveres Niveau, das gleichzeitig viele Herausforderungen bereithält – sowohl für Lehrende, wie für Studierende.
Gibt es etwas, was Sie sich in Bezug auf die Lehrentwicklung noch mehr von Ihren KollegInnen wünschen würden?
Ich denke, dass die Kollegen und Kolleginnen in ganz unterschiedlicher Weise die Beteiligung von Studierenden fördern und insgesamt engagiert daran arbeiten, ein möglichst vielseitiges Lehrprogramm zu bieten. Was wir uns sicher alle wünschen, wäre mehr Zeit, um innovative Formate, auch mit den Studierenden zusammen, zu entwerfen und schließlich umzusetzen. Gerade die Zunahme zusätzlicher Aufgaben neben Forschung und Lehre verhindern oft die Umsetzung von Formaten, die neu und in der Erstkonzeption mit einem erheblichen Aufwand verbunden sind. Erschwerend kommt sicherlich hinzu, dass sich der notwendige Erfahrungshorizont, der zur Entwicklung neuer Lehrmethoden und deren praktischer Anwendung benötigt wird, durch die kurzen Befristungen der Lehrenden häufig nicht entwickeln kann.
Und von den Studierenden?
Von den Studierenden wünsche ich mir vor allem Interesse und Engagement! Interesse an dem Fach und seinen Inhalten, immerhin haben sie sich selbst ausgesucht, genau das zu studieren. Dazu gehört auch Chancen wahrzunehmen, zum Beispiel bei Gastvorträgen auch mal mit Kollegen und Kolleginnen anderer Universitäten oder aus dem Ausland in Kontakt zu kommen und so andere Themen und Methoden kennenzulernen. Engagement in der Hinsicht, Angebote sich zu beteiligen, auch anzunehmen. Anstatt passiv zu konsumieren, sich lieber aktiv an Diskussionen beteiligen und die Seminare so mitzugestalten. Das beinhaltet natürlich auch sich im Vorfeld vorzubereiten, um so mit seinen Kommilitonen*innen und Dozenten*innen in einen echten Diskurs treten zu können. Schließlich machen lebendige Seminare im Endeffekt auch viel mehr Spaß – und garantieren den Lernerfolg.
Das Interview führte Eric Recke.