Christian Friedrich hat die Leuphana Digital School in Lüneburg mit einem kleinen Team aufgebaut, im Kontext der Hamburg Open Online University (HOOU) an der TU Hamburg sowie eine Zeit lang bei Wikimedia Deutschland gearbeitet und podcastet seit 2016 über Studium, Lehre und Weiterbildung. Wir haben ihn zu seinen Podcasterfahrungen und seinem Ansatz digitaler Lehre interviewt.
Was hat Dich dazu bewogen, zu den Themen Bildung, Lehre und Lernen zu podcasten?
Während meiner Arbeit in Lüneburg habe ich mich immer mal wieder mit aktuellen Diskursen rund um digitale Räume und digitales Lernen befasst – sowohl auf Konferenzen wie auch durch Lektüre. Mir haben auf den Konferenzen die Gespräche mit Leuten über gehörte Keynotes, Vorträge oder Blogbeiträge besonders viel Spaß gemacht, sodass ich gemerkt habe, dass mir generell der dauerhafte Austausch zu diesen Themen fehlt – insbesondere der Meinungsaustausch, ob man etwas kritisch sieht oder befürwortet. Aus dieser Unzufriedenheit ist dann ein Gespräch mit Markus Deimann entstanden, in dem wir festgestellt haben, dass es uns beiden ähnlich geht. Wir haben dann Ende 2015 beschlossen, ein eigenes Podcastprojekt zu starten, oder anders gesagt, haben wir uns gefragt: Was passiert, wenn andere Leute bei unseren Gesprächen zuhören und auch ihren Senf dazugeben? So kam es zu meinem ersten Podcast „Feierabendbier Open Education“, was noch das sehr klassische, Cliché-Podcastformat war: Zwei Männer unterhalten sich. Wir haben dann, damals noch in Hamburg, regelmäßig Folgen aufgenommen, teilweise sogar wöchentlich. Dadurch bin ich immer weiter in das Podcasten an sich reingerutscht und habe angefangen, Podcast-Workshops zu geben – beispielsweise zu Podcasts in der Hochschullehre oder in der Unternehmenskommunikation. Daraus ist auch ein weiteres Format entstanden, was mich schon eine ganze Zeit lang begleitet: „Hamburg hOERrt ein HOOU“. Das ist ein Podcast für die HOOU an der HAW Hamburg, in dem es um Interviews mit Menschen geht, die sich mit digitalen Formaten in der Hochschullehre befassen. Seitdem spreche ich eigentlich regelmäßig über digitales Lehren und Lernen sowie alles, was damit gesellschaftlich zusammenhängt.
Ist in Deinen Diskussionen bisher die Partizipation von Studierenden an der Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen erörtert worden?
Es spielte oft eine Rolle, war aber häufig nicht übergeordnet. Dazu muss ich sagen, dass mein Eindruck ist, dass Partizipation von Studierenden wie jede Art von Partizipation oft ein Stück weit „tokenisiert“ wird, was beispielsweise an folgender bekannter Geschichte deutlich wird: Man hat eine zwei- bis dreitägige Konferenz zu einem Thema aus dem digitale Lehre-Bereich mit Workshops, Panels und Talks. Dabei wird dann erst auf dem Abschlusspanel freitags um 14 Uhr einmal eine Schülerin oder Studentin, die sich für das Thema interessiert und einen persönlichen Bezug dazu hat, dazu geholt und darf etwas sagen. Diese „jungen Leute“ werden dann mit den Thesen konfrontiert, die im Laufe der Konferenz erarbeitet wurden oder vielleicht auch vorher schon feststanden, worauf sie in kurzen Rede-Snippets die Gelegenheit haben, zu antworten – auf einem Panel mit drei bis fünf anderen Menschen vor 200 bis 300 Leuten. Dazu kommen manchmal noch suggestiv gestellte Fragen, auf die sie dann nur noch mit „Ja“ antworten können, um zu bestätigen, dass die erarbeiteten Thesen und Inhalte der Konferenz auf der Linie dessen sind, was die Studentinnen und Studenten, Schülerinnen und Schüler immer schon wollten. Soll heißen: Ich nehme Partizipation in formaler Bildung nicht so sehr wahr – insbesondere systematisch – wie ich es mir wünschen würde. Statt jemanden mal eine Stunde aufs Panel zu holen, bedingt Partizipation die Möglichkeit von Menschen, sich inhaltlich vertiefend und strategisch mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen. Die Chance dazu haben ja die wenigsten Studentinnen und Studenten, Schülerinnen und Schüler – insbesondere in dem derzeitigen Bildungssystem und seinen Formaten. Wenn jemand BAföG bekommt und das Studium in Regelstudienzeit abschließen möchte, dann hilft es der Person meistens nicht, sich mit so etwas wie der Digitalisierung von Hochschulen zu befassen. Die Lage, in der solche Panelteilnehmenden sind, ist also keine, aus der heraus im Normalfall eine inhaltlich vertiefte Argumentation stattfinden kann – schon gar nicht, wenn man auch noch nur 90 Sekunden hat, sich auszudrücken.
Deshalb denke ich, dass das Thema nicht so häufig bei mir im Zentrum war, da die Podcasts, in denen ich unterwegs bin, häufig Podcasts sind, die hauptsächlich das beobachten, was anderswo passiert und dort das Thema studentische Partizipation wenig explizit vorhanden ist. Was ich aber auch sagen würde, ist, dass grundsätzlich Partizipation von Studierenden, oder Lernenden, in Bildungs- und Lernformaten jeglicher Art bei mir eigentlich immer schon eine Rolle gespielt hat – sowohl in den Formaten, in denen ich arbeite als auch in den Themen, die ich bearbeite. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn man sich tatsächlich mit den Positionen von Lernenden in einem Lernformat auseinandersetzt, das dem Lernformat zumindest nicht schadet, sondern vielmehr zu mehr Akzeptanz, zu anderen Lernergebnissen und zu anderen Strukturen und Settings führt. Das ist begrüßenswert, gerade wenn Menschen dadurch im Kontext von digitalen Formaten in die Lage kommen, selbst etwas zu produzieren, sich mit Dingen kreativ auseinanderzusetzen, Netzwerke aufzubauen und diese zu pflegen.
Wie waren Deine Partizipationserfahrungen in Deinem Studium?
Die waren praktisch nicht vorhanden, in meinem Studium in Lüneburg hat so etwas nicht stattgefunden. Ich habe dort direkt nach der Umstellung auf das 2007 eingeführte Bachelor Modell studiert und studentische Partizipation war im Studium der Wirtschaftspsychologie nicht angelegt und auch nicht strukturell vorgesehen. Was es gab, waren studentische Initiativen, in denen sich Studierende engagiert haben sowie den AStA und das Studierendenparlament. Da damals ein regelrechter Grabenkampf zwischen den studentischen Organisationen und dem Hochschulpräsidium herrschte, fand ich es nicht besonders zielführend mich dort zu engagieren und habe das stattdessen in einer Lokalgruppe getan: „sneep“, ein Netzwerk, dass sich für Wirtschaft und Ethik stark gemacht hat.
Wie siehst Du Podcasts und generell digitale Lehrangebote als Beförderung für die genannte Partizipation von Studierenden?
Ich denke Podcasts sind ein gutes Beispiel für einige Regeln, die man grundsätzlich über Partizipation und digitale Lernformate formulieren kann. Das eine ist, dass Partizipation in digitalen Lernformaten bedingt, dass Menschen in der Lage sind, sich in digitalen Räumen und mit digitalen Tools nicht nur auseinanderzusetzen, sondern die Sprache dieses Bereichs fließend zu sprechen – also „Digital Fluency“ zu erwerben. Konkret beim Podcast bedeutet das, wenn ich ein Format gemeinsam mit Studierenden und Lernenden entwickle, in dem es darauf hinaus läuft, dass die Studierenden über das Podcast-Format Partizipation ausüben, dann setzt das zunächst einmal voraus, dass sie verstehen und sich erarbeiten, was ein Podcast kann und was er nicht kann, wie er technisch funktioniert, wie ich ihn aufzeichne, wie ich ihn produziere und wie ich ihn hinterher so veröffentliche, dass er überhaupt gehört wird. Da sind wir schon mittendrin in allem, was ein digitales Ökosystem für das Lernen bedeutet, nämlich: Nicht nur zu rezipieren, sondern auch zu produzieren, sich über die Technik im Kontext von Gesellschaft im Klaren zu sein, aber auch über so etwas wie Kommunikationsgepflogenheiten oder die Strukturen, in die so ein Podcast eingebettet ist – also beispielsweise alles von RSS-Feed bis zu Social Media oder von „Wen interviewe ich?“ bis zu „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“.
All´ diese Fragen stellt man sich in dem Moment, wo Studierende selbstständig einen Podcast für ein Lehrformat produzieren und das ist, denke ich, bei allen digitalen Lehrformaten ähnlich. Insbesondere, wenn mein Fokus nicht auf dem Zählen und Messbarmachen von Aufmerksamkeiten oder Reaktionen liegt, sondern, wenn mein Fokus ein emanzipatorischer ist, dann habe ich mit digitalen Lernformaten – wofür Podcasts ein gutes Beispiel sind – die Möglichkeit, auf Augenhöhe zwischen Lehrenden und Lernenden zu arbeiten, aber auch zwischen Lehrenden, Lernenden und Institutionen sowie zwischen Lehrenden, Lernenden und der restlichen Gesellschaft. Die vielleicht etwas naiv utopische Vision dabei ist, dass Menschen nicht nur lernen, zusammenzuarbeiten, sondern auch über das Entwickeln einer Digital Fluency hinweg in der Lage sind, die Lernfortschritte in ihre Lebenswelt mitzunehmen – ob im Beruf, in der Politik oder in der Freizeitgestaltung.
Wie können Studierende Deiner Einschätzung nach besser an Podcast selber partizipieren?
In der Regel gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich habe vor kurzem einen Workshop gegeben zu Podcasts in der Hochschullehre und dabei drei Anwendungsfälle formuliert: 1. Ich als Lehrender nutze irgendeinen Podcast in meiner Lehrveranstaltung als Material. 2. Ich als Lehrender produziere einen Podcast oder ein Audioformat für meine Lernenden, wobei ich dann schon ein paar mehr Dinge beachten muss. Aber eigentlich spannend wird es, wenn ich als Lehrender gemeinsam mit Studierenden ein Format entwickle, in dem auch die Studierenden podcasten. Es kann beispielsweise in Zeiten des Zu-Hause-Studierens sehr interessant sein, Studierende ihre Fragen einsprechen zu lassen, worauf ich als Lehrender dann in einem Audio-Format bezugnehme, in dem erst die Frage kommt und dann eine Sequenz, in der ich als Lehrender oder andere Studierende versuchen, diese Frage zu beantworten oder zu einer artikulierten These Stellung zu nehmen. Letztendlich ein fast sokratisches Modell.
Ein anderes Format kann sein, dass Lernende in die Lage versetzt werden, in der sie etwas erklären können. Das heißt, ein studentischer Podcast könnte auch so aussehen, dass ich beispielsweise in einem Politik-Seminar zu internationalen Beziehungen die Leute nicht nur über Machtstrukturen und -dynamiken sprechen lasse, sondern, dass ich meine Studierenden dazu anrege, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, indem ich zum Beispiel Interviews mit Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Disziplinen zu bestimmten Themen arrangiere oder die Studierenden selbst diese Interviews arrangieren. Das geht online, über ein Recording, aber auch auf anderen Wegen und sogar asynchron. Man könnte sagen, die Studierenden stellen eine Frage und eine Expertin, ein Experte antwortet – möglichst formlos. Daraus entsteht dann ein Thread von Fragen, Antworten und Kontextualisierungen, der es vor allem den Studierenden ermöglicht, eigene Fragen loszuwerden und eigene Framings zu setzen sowie zu schauen, wie sie sich in ihren Disziplinen oder ihrem Lernfach verhalten können.
Was denkst Du, sollten die Unis nun im Angesicht der Corona-Situation im Hinblick auf Studierende verstärkt tun?
Das Erste ist denke ich, nicht in Panik zu verfallen. Wobei ich das Gefühl habe, wir kommen aus dem Stadium der Panik langsam heraus. Das Zweite ist, dass es, glaube ich, kaum eine Hochschule in Deutschland gibt, an der nicht eine Expertin oder ein Experte arbeitet, die sich schon mit digitalen Lehr-Lernformaten und mit Open Educational Resources befasst haben. Mein Argument ist deshalb: Schaut auf eure eigenen Campi und in eure eigenen Institute, Dekanate und E-Learning-Services. Da sitzen mitunter Menschen, die viel zu lange nicht gehört wurden. Sprecht mit denen, was aus ihrer Sicht nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig, strategisch kluge Entscheidungen sind. Ich sehe ganz viele Hochschulen gerade, die hektisch irgendwelche Lizenzen für irgendein Tool kaufen und hoffen, die Probleme seien damit beseitigt. Auch habe ich aus vielen Unis gehört, dass eine Vizepräsidentin oder ein Vizepräsident für Lehre sagt: „Wir haben ja diesen E-Learning-Service, bitte gehen Sie da alle hin. Wir erwarten, dass ab sofort alles zu 100% online stattfindet.“ Und während E-Learning-Zentren bisher noch alle Lehrenden überreden mussten, über interessante Lehr-Lernsettings im digitalen Raum nachzudenken und die Resonanz darauf nicht immer positiv war, sind sie jetzt in einer Situation, wo sie fast schon in Massenabfertigung Menschen erklären müssen, wie Online-Lehre funktioniert.
Das bringt mich auch zum nächsten Punkt, nämlich: Das skaliert natürlich nicht. Sprich, die Hochschulen sollten jetzt darauf setzen, parallel mit den genannten ExpertInnen einige Stunden die Wochen Strategien auszuarbeiten, wie man als Hochschule sich im Kontext digitalen Lehrens und Lernens verhalten kann. Dann ist – auch wenn das keine kurzfristigen Lösungen bietet und somit für die Entwicklung dieser Lösungen notwendige Zeit kostet – zumindest gewährleistet, dass es mittel- und langfristige Lösungen gibt. Dazu kommt, dass Hochschulen zwar im Bereich Forschung breit zusammenarbeiten, im Bereich Lehre aber sehr wenig kollaboriert wird. Dabei ist eine der großen Chancen von allem Digitalem, dass Kooperation über Stadt-, Länder- und nationale Grenzen hinaus auf einmal möglich wird und sich damit Lehrenden und Lernenden ein anderer Aktionsradius erschließt – auch im Bezug darauf, von wem und mit wem man im Hinblick auf die eigene Situation lernen kann. Insbesondere in Zeiten wie diesen.
Mein dringender Rat dazu noch zum Abschluss: Schaut auch jenseits der Grenzen, was Hochschullehre ausmacht. Es gibt einen Haufen cooler Projekte, die über die Partizipation von Lernenden – gerade im Wechsel zwischen Technologie und Gesellschaft – nachdenken, die aber mit Unis überhaupt nichts am Hut haben, weil die Uni diesen Formaten ganz oft die Luft nimmt. Ich denke, dass es gut ist, sich diese Projekte und die Leute, die sie machen, anzuschauen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sie zu BeraterInnen und BegleiterInnen von Veränderungsprozessen an der Uni zu machen – auch um damit die gesellschaftliche Relevanz von Hochschule nochmal neu zu überdenken.
Das Interview führte Eric Recke
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